Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit

(Inschrift über dem Eingang der Sezession)

Der Freiheit ihre Zeit

(notwendige Ergänzung)

 

In Salzburg wurde das Bildwerk der Gruppe Gelatin verhüllt und nach diversen Klagsdrohungen abgebaut. Die Festspiele hatten ihren Skandal.

So weit so gut.

Die Skulptur, die die Gemüter zum Skandal erregte, besteht aus zwei hölzernen Sockeln, die von der Darstellung eines nackten Mannes verbunden werden; naja, fast nackt: er trägt noch weiße Socken und hat ein Unterhemd zum Hals hochgeschoben. Die Stellung, die er einnimmt, ist wohl ziemlich unbequem. Auf Hände und Füße gestützt, mit durchgestreckten Armen und Beinen steht er da, Gesicht und Brust der Sonne, den Rücken der Erde zugewandt – diese Übung ist Turnern als Brücke bekannt. Gekrönt wird diese Brücke vom erigierten Penis des Mannes.

In einem der Holzsockel ist listiger Weise ein Wasserreservoir und eine Pumpe untergebracht. Aus dem Penis spritzt also das Wasser und trifft bei günstigen Windverhältnissen den offenen Mund des Mannes. Und dann heißt das Ganze auch noch „arc de triomphe“ – Triumphbogen also.

So weit so gut noch einmal.

Aber was wollen uns die Künstler damit sagen, vor allem mit der großartigen Namensgebung für ihr Ausstellungsstück? Die Haltung, die der Mann einnimmt, hat durchaus etwas Bogenförmiges an sich.

                                                   

Aber Triumph? Triumphbögen sind die Geschichte hindurch immer auf einen Mann bezogen, auf einen Sieger, einen Gewinner von Schlachten, einen Bezwinger der Gegner; seine Fährnisse, Wagnisse und überwundene Widrigkeiten sind als Trophäenreliefs auf den Wänden des Bogens dargestellt.

Aber welchen Grund zum Triumph hat unser Mann? Ist es seinen Hervorbringern Triumph genug, das verschlafene salzburger establishment vorgeführt zu haben? Jubeln sie über die Debatte, die sie los getreten haben, und die so schnell wieder versiegte, denn das Thema war ja bloß: „Ist Kunst Kunst und wenn ja, was darf sie“? Ist es der Gruppe Gelatin Triumph genug, wieder genannt worden zu sein? Oder bezieht sich der Titel auf das Werk selbst? Schlägt der nackte seinen Bogen, um seinen eigenen Triumph zu feiern? Und wenn ja, welchen Triumph?

Zunächst muss gesagt werden, dass der nackte Mann ein Wichser ist, worauf auch die unvollkommene Nacktheit hinweist – weiße Socken! Unterhemd! Und dann krümmt er sich in seinem selbst herbeigeführten Orgasmus und fängt sein eigenes Ejakulat auf. Was wir also hier vorgeführt bekommen, ist der Triumph des Einzelnen gegen die Zumutungen, sich mit anderen Menschen, vielleicht sogar noch anderen Geschlechts, das er ohnedies nicht versteht und begreift, abgeben zu müssen, um ein glückhaftes sexuelles Erlebnis zu haben. Nein, mein Herr! Hier triumphiert einer darüber, dass er es schafft, sich der Gemeinschaft zu entziehen, die in aller Regel Voraussetzung für guten Sex ist. Nein, mein Herr! Hier wird über die Gemeinschaft selbst triumphiert – selbst ist der Mann und dieser Triumph wird ausgedrückt.

Dabei verzichten wir gerne auf jede weitere Überlegung und Interpretation. Kein raisonnement über Liebe etwa soll bei dieser Darstellung dazwischenkommen, eine sensible Betrachtung der Unterschiede und Bedeutungen von Sexualität und Erotik ist gar nicht willkommen.

Es ist diese Unvermitteltheit, die zuschlägt, nicht die Darstellung des männlichen Sexualorgans. Der Pimmel, der abspritzt, muss daher seiner Kraft entledigt werden, denn diese Kraft ist die Kraft des Schmieds des eigenen Glücks. Unmittelbar – und bar jeder Intimität – wird hier der bürgerliche Mann gezeigt. Und da krümmt sich auch das Publikum und will nicht hinschauen. Jetzt muss Stellung bezogen werden, aber tunlichst so, dass das wirklich Angesprochene nicht weiter angerührt wird.

Erinnern wir uns: Dass ein jeder seines Glücks Schmied ist, dass ein jeder Arbeit findet, wenn er nur will, dass jeder sich nützlich machen und dabei seine eigene Wohlfahrt garantieren kann, natürlich gegen alle anderen, denn er ist ja etwas Besseres und bedarf der anderen nicht, darf ihrer gar nicht bedürfen, dass er sich durchsetzen und vermarkten und alle anderen aus dem Feld stechen muss, das ist gesellschaftliche Tugend. So geht Markt und Konkurrenz.

Und jetzt kommen vier (die Gruppe Gelatin), nehmen das ernst, brechen diese Ideologie auf die intimste Ebene herunter, erklären, Intimität gibt es überhaupt nur noch mit sich selbst, wirtschaftlicher Erfolg sei genau so durch eigene Anstrengung errungen wie der geglückte Orgasmus; in einer Anstrengung gegen die anderen, wohl gemerkt.

Das geht natürlich an s Eingemachte. Wollen wir uns diesen Spiegel vorhalten lassen? Najaaaaaa?! Kunst ist schon in Ordnung, aber die Botschaft!???? Da muss jetzt differenziert werden, also begeben wir uns auf die argumentative Ebene und frönen dem Bilderverbot in der bürgerlichen Gesellschaft (Zum Bilderverbot wird in der nächsten Zeit, wann auch immer, ein Aufsatz fällig, Anfragen zu den Argumenten und Ideen über die Strompostadresse, s. homepage). Während die einen sagen, das Zeug könne ruhig stehen bleiben, andern Falls müsste der ganze Zwergerlgarten zusperren,  

                                                              

meint etwa der Bürgermeister, es könne keine Kunst sein, wenn sich einer in den Mund pinkelt.

Beide Stellungnahmen sind gut gemeint und beziehen sich auf den common sense, greifen aber daneben.

Die Darstellung der Grotesken in der barocken vorbürgerlichen Zeit war ein ewiges memento mori, eine dauernde Erinnerung an die Fragilität der Welt, in der die Leute lebten. Später konnten die Grotesken ihre menschliche Würde wahren, am Projekt der Aufklärung teilnehmen, jenseits ihrer Verkrüppelung (die Zwerge), ihres Sklaventums (die Neger, Mauren, Indianer), ihrer Abstammung und Religion (die Juden) als Edle Wilde, als unberührte Natur zum Vorbild werden, wenn sie auch noch immer als Museums- und Schaustück dienten und sei es  nur, um die Wahrheit der Aufklärung zu beweisen; dass also das Aussehen des Menschen seiner „Würd’ und Hoheit“ (Joseph Haydn, Gottfried van Swieten – für das salzburger Festspielpiblikum) keinen Abbruch tue.

Aber die Darstellung unseres ejakulierenden und schluckenden selbstbezogenen Mannes überschreitet diesen Horizont. Hier ist auch das Groteske nicht mehr an das Aussehen gebunden – und ob die Handlung des Dargestellten grotesk ist, ist auch nicht so klar. Eher weist sie, wie ich weiter oben gesagt habe, auf das normal Alltägliche hin. Und das ist wieder unerträglich, wo jede Maskierung hintertrieben wird. Also müssen wir die Maske wieder herstellen: Der salzburger Bürgermeister spricht vom „Urinieren“, und da kann er natürlich auf den commeilfaut zählen, auf ein Einverständnis, dem alle anhängen. Man pinkelt nicht in der Öffentlichkeit, schon gar nicht sich an.

Es ist ja schon rührend, wie der salzburger Bürgermeister die Augen verschließt. Ein alter comic strip (von Robert Crumb oder Gilbert Sheldon, keine Ahnung, Zitate merk ich mir nicht, jeden Falls war s in den U-Comix und natürlich mit dicken deutschen schwarzen Balken versehen) zeigt das Problem eines Mannes, der in der Früh mit einem Steifen und voller Blase aufwacht: mit einem Steifen kann er nicht pischen. Was hat nun der salzburger Bürgermeister gesehen? Er hat gesehen, worum es geht. Und es geht um den heutigen modernen normalen Mann, um den, der für sich ist, um den, der erkannt hat, dass jede Konkurrenz danach strebt, konkurrenzlos zu werden – die Konkurrenz so weit und in diesem Maß auszustechen, dass sie keine Chance mehr hat.

Es ist gerade die Kunst, die für ihre Werke diese Konkurrenzlosigkeit beansprucht – siehe dazu bitte Walter Benjamin, das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit, die Auseinandersetzung um Aura und Originalität – und das konkurrenzlose Genie in den Vordergrund ihrer Betrachtung rückt. In diesem Fall ist der Konkurrenzlose eben der Mann, der nichts braucht außer sich selbst. Seinen ökonomischen Erfolg, seine politische Stellung können wir hier nicht nach vollziehen – es ist ja auch egal, ob der Wichser den Blauen oder den Grünen anhängt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang nur, dass der Mann für sich ist, selbst in den Entäußerungen, die doch wohl gemeinhin als die ursprünglichst gemeinschaftlichen zu betrachten sein sollten.

Dass diese Betrachtungsweise nichts gilt, zeigt das Bild der Gruppe Gelatin. Uns bleibt daher die Frage, warum die Leute gerade dieses Bild ablehnen, sich dagegen wehren, das offen Sichtliche zu sehen, zu akzeptieren, zu überlegen. Kann es sein, dass Scham im Spiel ist? Nicht Scham, die der Preisgabe der Intimität entspringt, sondern Scham darüber, dass die Intimität zum Privaten geworden ist, das der Anderen nicht mehr bedarf?

Die phantasievolle Darstellung (wobei die Phantasie die der gesellschaftlichen Individuen ist, die Phantasie der Schmiede des eigenen Glücks) eines phantasierten Akts, der pornographische also marktkonforme also bekannte und praktizierte Dimensionen zur Schau stellt, über das Paradigma der Kunst mit Unfehlbarkeit und Unzerstörbarkeit verbunden, deutet in aller Nüchternheit auf uns selbst. Sind wir aber in aller Konkurrenz konkurrenzlos, wollen wir uns dann preisgeben?

Na eben.